Auf dem Weg zur Klosterstadt Seda

Das China Explorer Team erkundet neue Pfade in Sichuan und Qinghai

China ist groß und es gibt viele Straßen, die darauf warten befahren zu werden. Bei dieser Scouting Tour planen wir eine neue Reise mit dem MOTORRAD action team. Es soll eine Reise der Superlativen werden. Es soll eine Motorradreise an die Grenzen des von Tibet werden. Wir wollen das zentralasiatische, osttibetische Qinghai erkunden, die Straßenverhältnisse und Hotels auskundschaften und die spannendste Route ausarbeiten.

Qinghai ist fernab des von von Großstädten geprägten Chinas, eine Provinz im Osthimalaya auf dem tibetischen Hochplateau. Um mit dem Motorrad dorthin zu gelangen müssen wir erst einmal Strecke machen. Also fuhren wir mit dem Pickup über die Autobahn nach Shangri-la, unsere beiden Shineray X5 400-Motorräder auf der Ladefläche. Als wir dort ankommen ist das Wetter ziemlich durchwachsen, es ist kalt und naß, nicht gerade beste Voraussetzungen für eine Reise ins nördliche und hochgelegene Qinghai. Wir sitzen in Shangri-la vor dem Kaminfeuer und denken an Südostasien. Warum nicht doch lieber den Dschungel von Laos erkunden und bis ans tropische Meer in Kambodscha fahren?

Doch es zieht uns nach Norden und am nächsten Tag ist es zumindest trocken. Hinter Shangri-la gibt es eine Abzweigung, hier beginnt die Straße nach Sichuan. Und hier beginnt unser Motorradabenteuer durch China´s unerkundete Gebiete.

Schnell laden wir die Motorräder ab und schon sind wir auf einer Straße, die leider eine Schlaglochpiste ist. Wie sollen wir so jemals ins ferne Qinghai kommen? Während sich die Motorradfahrer in der hohen Kunst des Schlaglochslaloms üben, ist es für den Pick up mit zwei Fahrspuren, weniger Federweg und längerem Abstand der Räder schwieriger. Wir finden eine Balance zwischen beiden Fahrspuren und wählen gekonnt den Weg des geringsten Durchschlags. Es macht Spaß, und doch sind wir dann auch froh, als wir wieder Asphalt unter unseren Rädern spüren.

Es wird schon dämmrig, wir machen Pause in einem kleinen Dorf, im bunten Straßenleben, wo die Männer entlang der Straße Billard spielen. Wir haben noch 50 Kilometer Straße vor uns, bis wir unser Tagesziel erreichen. Plötzlich sitzt eine verwahrloste Gestalt auf der Pick up Ladefläche! Wir wissen ja bereits von früheren Expeditionen, dass die Tibeter ein wildes Volk sind, doch dieser hier gebärdet sich wie ein Irrer, schreiend klammert er sich an unser Gepäck. Die herumstehenden Dörfler wollen uns nicht helfen, sie empfehlen uns nur, den Verrückten zu schlagen, dann würde er sich schon verziehen. Mit vereinten Kräften und ohne Schläge schaffen wir es, den unliebsamen Hitchhiker vom Pick up zu befördern. Schnell fliehen wir aus der Siedlung, doch der Vagabund beschäftigt sich schon längst mit anderen essentiellen Dingen und läuft ohne Schuhe davon.

Eingeschneite Pässe und Strände der Haize-Seenplatte

Wir übernachten in einer rustikalen, tibetischen Stadt, essen Gerichte in einem gemütlichen (und vor allem warmen) Restaurant. Warum wir dieses Restaurant auserwählten? Draußen stand: Good Restaurant run by Good-looking Chongqing Girls! Wer kann da Nein sagen.

Am nächsten Morgen fahren wir über die Provinzgrenze nach Sichuan. Uns erwartet ein 4700 Meter Pass, bevor wir das tibetische Hochplateau erreichen. Karg, weiß und braun präsentiert sich uns dieses düstere Land; feindlich und anziehend zugleich, sodass wir nicht wissen, ob wir willkommen sind oder uns lieber fernhalten sollten. Erhaben schwillt die ansonsten schwer von der dünnen Luft atmende Brust.

Ein Ödlandtal verjüngt sich unter unseren fliehkräftigen Rädern und die Sonne zeigt uns den Weg auf die bizarre Haize-Seenplatte. Wir sonnen uns an einem Strand, im Hintergrund steile Schneeberge und das Wasser hat nur knapp über Null Grad.

Wasser und Sand laden zur Durchfahrt mit der Enduro ein, ein Kampf, wie sie sich durch die Landschaft wühlt. Man kann der Shineray X5 Reiseenduro schon so einiges zutrauen. Wir verlassen diesen magischen Ort und begeben uns auf immer kurvigen, perfekt asphaltierten Straßen nach Litang, einer Stadt umgeben von Grassland und schneebedeckten Bergen, wo wilde Hunde wie Wölfe des nachts durch die Gassen jagen. Litang ist die Geburtsstätte des 7. und 10. Dalai Lamas.

Die Reise geht durch teils sehr abgelegene Gebiete. Die meiste Zeit trifft man deshalb nur vereinzelt auf andere Verkehrsteilnehmer. Trotzdem sind die meisten der Straßen in einem bemerkenswert guten Zustand, sodass Daniel Lengwenus vom MOTORRAD action team zu dieser Tagesstrecke sagte: „Diese Strecke ist die beste Strecke, die ich je mit dem Motorrad in Asien gefahren bin!“

Nachts regnet es in Strömen und zweihundert Meter höher schneit es, sodass die umliegenden Berge am nächsten Morgen in feinstem Weiß leuchten.

Akademie Seda – Kulturelles Zentrum des Buddhismus

Nach Litang entdecken wir eine versteckte Straße, die eine gute Verbindung zu unserem nächsten Etappenziel ist. Ein zerklüfteter Canyon reißt auf und eröffnet den Blick auf den Talkessel von Seda. Alle Hänge um die zentrale Akademie sind mit den asketischen Behausungen der 20.000 Nonnen und Mönche bebaut, die in Seda, der größten buddhistischen Akademie der Welt, zur Lehre gehen.

Wir besteigen einen Berg und verheddern uns in den Gebetsfahnen. Riesige Geier kreisen über dem Talkessel, warten auf die nächste Himmelsbestattung, wo die Toten von einem Mönch in Stücke geschnitten und an die Geier verfüttert werden. Sie dienen den Geiern als Nahrung, sind Grundlage ihres Lebens, ihrer Bewegungen; und so findet man die Toten tatsächlich wieder, im Schlag der Schwingen und in der Schärfe des Sehens, wenn ein neuer Leichnam fixiert wird.
Kreisen der Geier, Kreislauf des Lebens.

Dies ist ein besonderer Ort, der uns nicht unverändert zurücklässt.

Was einen auch nicht unverändert zurücklässt sind die Matratzen des Hotels, gerädert wachen wir von Gebeten, die aus einem kreischenden Mikrofon durch den Flur hallen, von unserem Schlaf auf.

Die Himmelsbestattung von Seda

Die Himmelsbestattungen in Seda sind eine bemerkenswerte kulturelle Praxis. In pietätvollem Abstand wollen wir uns dem Ort der Himmelsbestattung nähern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die tibetische Kultur mit dem Tod umgeht. Die Vorstellung, das die Toten in Stücke geschnitten und an die Geier verfüttert werden, ist eine für Menschen aus einem westlichen Kulturkreis grausige Vorstellung. Furchterregend, erschreckend war dann das Schauspiel, das sich uns bot; wir hätten mit allem gerechnet, nur nicht, dass neue Umbauarbeiten diesen pietätvollen, heiligen Ort zu einem „Disneyland des Todes“ herrichten ließen!

Um den unscheinbaren Ort der Himmelsbestattung, wo Unmengen an Kot auf die zeitweise Anwesenheit unzähliger Geier schließen lässt, Schleifsteine und Hackbeile und ein unverkennbarer Geruch nach Verwesung Spuren dieses Rituals sind, wurden unechte Steingebilde aufgebaut, große Schreine und Tempel aus Weißbetonschädeln und Skeletten machen sich wie Karikaturen über den Tod lächerlich. Völlig durcheinandergewürfelte Statuen von weinenden Engeln, nackten Nymphen, Schädeln mit Vampirzähnen, Trollen und Aleister Crowley-Gestalten, die keinen Bezug zum Buddhismus haben, zieren diese bizarre Szenerie. Wir kamen uns vor wie in einer Kulisse aus einem Indiana Jones Film. An einem Besucherzentrum wird momentan noch gebaut.

Falls diese Bauarbeiten nicht von einem chinesischen Investor, sondern von den Mönchen selbst in Auftrag gegeben wurden, unterscheiden sich westliche und buddhistische Vorstellungen von Pietät doch in erheblichem Maße.

Wir sind nun seit über einer Woche ohne Unterbrechung mit dem Motorrad in Chinas Westen unterwegs. Unsere Fahrtage sind lang. Das dröhnen der Einzylindermotoren, die wippenden Bewegungen der Federung, die Abgelegenheit der Grassteppen und Plateaulandschaften, die Andersartigkeit der Kultur – dies alles hat sich eingeprägt und wirkt wie eine Meditation. Nun verstehen wir die mystischen Buddhisten, die in dieser Landschaft wohnen, etwas besser.
Waren wir schon immer unterwegs, ohne Unterbrechung? Das Motorrad scheint zu einem Teil von uns geworden zu sein, zu einer Verlängerung unserer Arme und Beine. Und unser Geist genießt die Ursprünglichkeit dieses weiten Landes.

Fortsetzung folgt